Aufgabengerechte Finanzausstattung der Gemeinden

Ludwigslust-Parchims Landrat Rolf Christiansen fordert ein Finanzausgleichsgesetz, das Bedürfnisse der Gemeinden anerkennt.


"Ein bewegtes Jahr ist zu Ende gegangen. Der größte Fördermittelbescheid, den der Landkreis je bekam, beschert Möglichkeiten zum Ausbau des schnellen Internets. Aber es gab auch Streit um die Rekommunalisierung von Teilbereichen der Entsorgung. Ein beherrschendes Thema 2017 wird der Finanzausgleich sein. Im Gespräch mit Udo Mitzlaff, Chef der Lokalredaktion Parchim, plädiert Landrat Rolf Christiansen (SPD) dafür, Strukturschwächen mit Landesmitteln auszugleichen. Flächendeckender Breitband-Ausbau war der größte Brocken 2016. Hat wirklich fast jeder die Chance auf schnelles Internet bis 2018? Rolf Christiansen: Dank der Förderung von Bund und Land haben wir wirklich die große Chance, einen fast flächendeckenden Ausbau des schnellen Internets für den Landkreis zu realisieren. Das betrifft insbesondere den wirklichen ländlichen Raum. Da diese Förderung in den Markt eingreift, darf der Landkreis überall dort, wo private Anbieter den Breitbandausbau angemeldet haben, nicht tätig werden.

Wen betrifft das?

 

Dies betrifft insbesondere die Städte. Die Vorhaben werden aber, soweit es machbar ist und die privaten Anbieter interessiert sind, aufeinander abgestimmt. Allerdings ist der Anschluss nicht kostenlos für den Nutzer, sondern es gelten die Konditionen der Netzanbieter. Denn mit den Fördermitteln wird der Ausbau des Netzes bezuschusst. Private machen diesen Ausbau ja gerade deshalb nicht, weil durch die Ausbaukosten eine Wirtschaftlichkeitslücke entsteht. Diese wird mit den Fördermitteln geschlossen.

Der Landkreis kann solide Finanzen vorweisen. Wie schafft man das in einer ländlich geprägten Region? Solide Finanzen sind die tragenden Säulen einer soliden Politik. Diese erfordert häufig schmerzhafte Entscheidungen und Reduzierung oder Zurückstellung von Wünschen auf das finanziell mach- und verantwortbare. Natürlich können in bestimmten Zeiten auch Kreditfinanzierungen sinnvoll sein – aber immer nur unter dem Blickwinkel der Leistungsfähigkeit des Landkreises und seiner Kommunen. Die mit Augenmaß betriebene Haushaltskonsolidierung der letzten Jahre macht sich jetzt bemerkbar und wird vom Land ja auch finanziell honoriert.

 

Was sind Ihre Ziele?

Meine Ziele einer soliden Finanzpolitik sind unter anderem ein ausgeglichener Haushalt und die Reduzierung der Verschuldung; Stärkung der Investitionen in den Bereichen Bildung und Straßensanierung; Sicherung der Jugend- und Sozialarbeit und der freiwilligen Aufgaben, die unseren Landkreis lebenswert und familienfreundlich machen; Aufbau einer Rücklage; Reduzierung der Kreisumlage. Der Kreistag hat den Haushalt problemlos verabschiedet. Warum die Harmonie? Wir haben als Verwaltung einen soliden Haushaltsentwurf vorgelegt. Hierbei haben wir die Ergebnisse der Vorjahre fortgeschrieben und angepasst. Neben den eigenen Schwerpunktsetzungen haben wir natürlich auch Anregungen aus der Politik bereits im Entwurf mit aufgenommen. Der Verwaltungsentwurf wurde in den Diskussionen in den Fachausschüssen und im Finanzausschuss als solide Grundlage anerkannt.

Also ein Kompromiss?

 

Mir war es schon wichtig, eine breite Mehrheit für den Haushalt zu erreichen. Das habe ich auch signalisieren lassen. Verwaltungsseitig wurden die Anträge konstruktiv mit begleitet. Die Novelle des Finanzausgleichsgesetzes kommt. Erste Signale des Landes ernten Kritik. Der reiche Westen soll zugunsten Vorpommerns Abgaben erhöhen. Bringt das was? Das ist in meinen Augen ein untaugliches Mittel. Den Starken zu schwächen, wird dem Schwachen auf Dauer nicht helfen können, sondern die wenigen Starken ebenfalls in die Knie zwingen. Hier ist das Land gefragt, strukturelle Schwächen mit Landesmittel auszugleichen. Die Gemeindefinanzen bleiben teils prekär. Was kann der Kreis, was das Land? Wir brauchen ein Finanzausgleichgesetz, das die Bedürfnisse der Gemeinden und Landkreise anerkennt und nicht von Vorurteilen gegen die kommunale Ebene geprägt ist. Wenn die kommunale Ebene nicht mehr funktioniert, wird die Abwanderung wieder zu nehmen und Extremisten gestärkt. Auch die kommunale Ebene muss ihre Hausaufgaben machen, aber das ist weitgehend geschehen. Bildungspolitisches, soziales und kulturelles Engagement muss auch im ländlichen Raum möglich sein und gestärkt werden. Auch Amtsumlagen belasten Gemeinden. Brauchen wir so viele Ämter oder so nahe an Städten arbeitende? Die Ämter mit Sitz in einer amtsfreien Stadt sind mir schon lange ein Dorn im Auge, hier ließen sich problemlos Synergien zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger realisieren. Hier müssen persönliche Befindlichkeiten zurückstehen. Häufig sind es Vertreter aus diesen Gemeinden, die am heftigsten gegen die Kreisumlage polemisieren. Sie sollen sich doch einmal einfach an die eigene Nase fassen. Mit gutem Willen lassen sich hier Lösungen finden, die allen zu Gute kommen. Also einfach einmal ohne Vorurteile diskutieren. Stichwort Gemeindefusionen: Geht die Diskussion in eine neue Runde? Ja, mit einer weiteren freiwilligen Phase. Die Symmetrie zwischen den großen Kreisen und den kleinen Gemeinden passt einfach nicht. Aber hier fehlt beim Land der Mut zum Handeln und bei den Gemeinden die Einsicht. Bei den bisher wahrgenommenen Vorurteilen des Landes gegen die kommunale Ebene halte ich aber jede Regelung von oben für kontraproduktiv. Wie geht es mit der Windkraft weiter? Haben Gemeinden, die keine Eignungsgebiete haben, Chancen auf Windkraft? Wir haben als Planungsverband mit Blick auf die Vorgaben des Bundes und des Landes und der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichtsbarkeit objektive Kriterien entwickelt. Hierauf ist ein erster Entwurf zur Fortschreibung des Regionalen Raumordnungsprogramms erstellt und die erste öffentliche Anhörung durchgeführt worden. Gemeinden, Bürgerinnen und Bürger, Vereine und Verbände haben wichtige und hilfreiche Hinweise gegeben. Ich gehe davon aus, dass der 2. Entwurf im 1. Quartal 2017 in die öffentliche Beteiligung geht. Nur wo die objektiven Kriterien eingehalten werden, kann es Windeignungsgebiete geben. Dies entscheidet allein der Regionale Planungsverband. War der Entschluss richtig, Teilbereiche der Abfallwirtschaft wieder kommunal zu führen? Ich bin von der Richtigkeit überzeugt. Bundesweit befassen sich viele Kommunen mit dieser Frage oder haben sich bereits für eine Kommunalisierung entschieden. Wir werden jetzt die ersten Erfahrungen abzuwarten haben und dann weitere Schritte entscheiden. Ich kann mir gut vorstellen, dass wir diesen Weg weitergehen. Die Frage, ob der Landkreis diesen Schritt alleine geht oder einen Privaten mit einbindet, wird intensiv zu prüfen sein. Dies wird ergebnissoffen geprüft. Entscheiden wird dann der Kreistag. Der Rufbus legte einen guten Start hin. Wie realistisch ist die Chance für den Gesamtkreis, ihn zu bekommen? Ich hoffe sehr, dass der Rufbus angenommen wird. Meine Bitte an alle Nutzer: Wenn Probleme oder Fragen auftauchen, gleich bei der VLP anrufen. Wir müssen alle Optimierungsmöglichkeiten nutzen. Ziel bleibt es, das Rufbussystem möglichst bald im ganzen Landkreis zu realisieren. Je besser es angenommen wird, umso besser können die Angebote gestrickt werden. Wir werden hier einen längeren Atem brauchen. Wenn wir unseren Anspruch ernst nehmen, ein lebenswerter und familienfreundlicher Landkreis zu sein, gibt es keine Alternative. Beginnt das Schulsterben ab 2022 oder sind neue Ideen wie die Amtsschule denkbar? Hier muss man komplett neu denken. Schule muss in der Fläche erhalten bleiben. Organisations- und Personalfragen müssen neu gedacht werden, neue Medien müssen genutzt werden, um auch in kleinen Schulen alle Lerninhalte abdecken zu können. Ein Blick nach Skandinavien könnte sehr hilfreich sein. Es muss die Bereitschaft wachsen, sich von traditionellen Mustern zu lösen. Wird das Umlage-Problem bei den Gesamtschulen gelöst? Ich hoffe sehr. Es eine Frage der Solidarität unter den Gemeinden. Der Landkreis kann die Finanzierung nur über die Kreisumlage decken. Warum soll zum Beispiel die Stadt Plau, die ihre eigene Realschule finanziert, über die Kreisumlage die Beschulungskosten für die Realschüler der Stadt Sternberg in der Gesamtschule Sternberg mitfinanzieren? Das wäre ungerecht. Hier ist Solidarität unter den Kommunen gefragt. Jede andere Lösung wird für alle Beteiligten teurer! 2016 ist Geschichte. Was war Ihr schönstes Erlebnis?

Es gab eine Reihe schöner Erlebnisse im Jahr 2016. Aber die Förderung des Bundes für den Breitbandausbau – immerhin 148 Millionen Euro für unseren Landkreis – ist schon etwas ganz Besonderes. Einen so hohen Förderbescheid habe ich noch nie in Händen gehalten. Was wünschen Sie sich und uns für das frische Jahr? Ich habe meine persönlichen Weihnachtsgrüße überschrieben mit: Am liebsten sind mir die teuren Geschenke, wie z.B. gegenseitiger Respekt, Friedfertigkeit, Solidarität, Aufmerksamkeit und Liebe. Ich mache mir Sorgen um die Verrohung von Teilen der Gesellschaft, wo offen zu Hass und Gewalt aufgerufen wird. Dem müssen wir Demokraten entschieden entgegentreten. Gewalt, Hass und Ausgrenzung von Minderheiten war noch nie eine Lösung, sondern endeten immer im Chaos mit Gewaltherrschaft und viel Leid und Tod. Nächstenliebe und Friedfertigkeit sind meine größten Wünsche.

 

„Nicht die Starken schwächen“, Schweriner Volkszeitung (02.01.2017)

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