Hans-Joachim Grätsch wurde am vergangenen Freitag in den Ruhestand verabschiedet. Er blickte gestern mit gut 200 Ehrengästen auf 42 Jahre Arbeit in der Diakonie aber auch 32 Jahre im Sinne der Lebenshilfe zurück.
Die erste wirkliche West-Ost-Unternehmung unserer Region, das Lebenshilfewerk Mölln-Hagenow, hat gestern mit einem aufwändigen aber auch sehr bewegenden Empfang einen der Großen der Nachwendezeit in den Ruhestand verabschiedet: Hans-Joachim Grätsch, von den meisten nur „Jockel“ genannt. „Es kann doch fast nicht sein, dass so ein Wessi in der Wende hierher kam und uns Ossis in die Spur schickte. Du hast Spuren hinterlassen, in Hagenow aber auch anderswo“, lobte Hagenows Ex-Bürgermeisterin Gisela Schwarz den in der kommenden Woche scheidenden Geschäftsführer.
Gemeint war sein Streiten für die Würde und auch für das Wohl behinderter Menschen. Das war die große Aufgabe des 66-Jährigen. Er blickte gestern mit gut 200 Ehrengästen auf 42 Jahre Arbeit in der Diakonie aber auch 32 Jahre im Sinne der Lebenshilfe zurück. Erst in Mölln und praktisch mit der Wende auch in Hagenow und Nordwestmecklenburg. Gemeinsam holten Grätsch und viele andere Mitstreiter die Behinderten aus der Nische und Verborgenheit, in die sie zu DDR-Zeiten gesteckt wurden. Schon früh gab es die Lebenshilfe Hagenow, die später mit dem Möllner Vorbild zu einer gemeinsamen „Firma“ zusammenwuchs. Der Verbund, das sind heute gut 650 Beschäftigte in beiden Bundesländern, die sich im sozialen Bereich um gut 2000 Menschen in Mecklenburg-Vorpommern aber auch in Schleswig-Holstein kümmern.
Und Grätsch konnte sich gestern vor lobenden Worten kaum retten, immer wieder kämpfte er während der Reden mit den Tränen der Rührung. Den ersten Schwerpunkt der langen Veranstaltung setzte Martin Scriba, der Landespastor des Diakonischen Werkes in Mecklenburg-Vorpommern. Er würdigte nicht nur das langjährige Wirken des Geschäftsführers im Sinne des kirchlichen Menschenbildes, sondern schenkte ihm auch symbolisch einen Stern der Schweriner Schlosskirche.
Minister Till Backhaus hatte für den Empfang extra seinen Urlaub unterbrochen. Er habe Jockel Grätsch in der Wende kennen gelernt. „Wir hatten gleich einen Draht füreinander“, erinnert sich Backhaus und bezeichnete den 66-Jährigen zugleich als sehr streitbaren Verhandlungspartner.
So freundlich und umgänglich er zu allen Menschen in seinen Berufsjahren war, so unangenehm konnte er werden, wenn es um die Belange behinderter Menschen ging. Auch vor allem für seine Mitarbeiter warf er sich immer wieder ins Zeug. Und so war er in seiner Rede ganz zum Schluss auch hörbar unzufrieden, dass es noch immer Unterschiede bei der Bezahlung der Mitarbeiter in Ost und West gibt. Von den 650 Angestellten arbeiten derzeit gut 150 in Mecklenburg-Vorpommern. Nicht umsonst gab es auch ein paar rührende Worte der Mitarbeiter an ihren Chef, vorgetragen von Ingrid-Wormstädt-Ständer und der Beschäftigten der Hagenower Werkstätten Erika Burnicke. Sie rief aus: „Hier darf ich sein, wie ich bin.“
Grätsch, der sein Amt offiziell an seine Nachfolgerin Ines Senftleben aus dem Boizenburger Ortsteil Vier übergeben wird, will sich nicht vollständig zurückziehen. Einige ehrenamtliche Funktionen werden ihm bleiben. Seine Nachfolge hat er früh geregelt. Sein Rat : „Hinterlasse ab kommender Woche deine eigenen Spuren, wo du es kannst.“
Mayk Pohle: "Er hinterlässt Spuren in der Region", Schweriner Volkszeitung (24.06.2017), Seite 7
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