Interview Martin Schultz

SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz will die Pkw-Maut wieder abschaffen und für ein Einwanderungsgesetz kämpfen.


Nach dem Auftakt mit CDU-Spitzenkandidatin Angela Merkel kommt heute der Herausforderer zu Wort, SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz. Nach dem jüngsten Deutschlandtrend sieht es für den als Überflieger in den Wahlkampf gestarteten früheren EU-Parlamentspräsidenten und seine SPD nicht gut aus. Rasmus Buchsteiner und Tobias Schmidt trafen Schulz in Berlin. Herr Schulz, nur um das Wichtigste gleich zu klären: Sie glauben immer noch fest daran, Bundeskanzler zu werden? Ja, klar. Ich bin nach wie vor der festen Überzeugung, dass ein Wahlsieg gegen diese planlose Union möglich ist. Die SPD-Mitglieder sind hoch motiviert. Meine Partei und ich werfen alles in die Waagschale, um am 24. September stärkste politische Kraft des Landes zu sein. Aber laut einer neuen Umfrage unterstützen Sie nur 51 Prozent der SPD-Anhänger und nennen Ihren Namen bei der Kanzlerpräferenz. Was läuft da schief? Mich interessiert nur eine Zahl: 46 Prozent der Menschen sind noch unentschieden. Fast die Hälfte der Wähler weiß noch nicht, bei wem sie ihr Kreuz macht. Diese Wahl ist mitnichten entschieden! Und unsere Mobilisierung ist stark wie selten, die SPD ist geschlossen wie lange nicht. Warum sollte ein Bundeskanzler Schulz das Land besser regieren als eine Kanzlerin Merkel? Weil ich einen Plan für die Zukunft habe! Ich weiß, wie man Deutschland fit für die Zukunft und stark in der Europäischen Union machen kann. Die CDU hat ihr ganzes Programm reduziert auf den Namen Angela Merkel. Uns droht der Rückfall in die Agonie der Kohl-Jahre. Verzweifeln Sie nicht manchmal an diesem Wahlkampf, in dem wenig über Inhalte gestritten wird? Ich bin stolz darauf, dass die SPD ein sehr präzises Programm für die Zukunft unseres Landes vorgelegt hat: Lohngerechtigkeit für Frauen und Männer, deutlich mehr Geld für Bildung, damit unsere Kinder nicht in Schulen sitzen, in die es reinregnet, Europa stärken, Digitalisierung voranbringen. Wenn Sie also den Eindruck haben, dass zu wenig gestritten wird in diesem Wahlkampf, dann liegt es mitnichten an mangelnden Inhalten der SPD. Die Union hat keine Inhalte, für die sie streiten kann. Und wenn die CDU mal Position bezieht, dann kommt Herr Seehofer um die Ecke und macht sie mit dem Holzhammer platt. Die Kanzlerin will nach der Wahl die Hälfte ihres Kabinetts mit Frauen besetzen, wie Sie auch. Klaut Ihnen die CDU-Chefin die Themen? Frau Merkel hätte in dieser Legislaturperiode ein Kabinett haben können, dass zur Hälfte aus Frauen besteht. Wir als SPD haben diese Quote vom ersten Tag an erfüllt. Inzwischen haben wir sogar vier Frauen und „nur“ zwei Männer im Kabinett. Frau Merkels eigene Unions-Mannschaft besteht zu einem Großteil aus Männern. Wenn ihr das Thema so wichtig ist, warum hat sie sich nicht schon lange darum gekümmert? Die übliche Merkel-Methode: Aneignen, was der andere schon lange vorher entwickelt hat, und es dann als Eigenes verkaufen. Merkel ist eine Reagierungschefin, keine Regierungschefin. Wird das TV-Duell die letzte Chance, das Blatt für die SPD zu wenden? Der Wahlkampf geht jetzt erst in die richtig heiße Phase. Dabei ist das TV-Duell ein wichtiges Element, aber nur eines unter vielen anderen. Ich freue mich auf die Auseinandersetzung. Merkels Mitarbeiter haben strikte Bedingungen für das Duell durchgesetzt. Ex-ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender wirft dem Kanzleramt Erpressung der Sender vor… Das zeigt, dass die Kontrollfunktion durch die Journalistinnen und Journalisten in Deutschland noch funktioniert und Medien sehen, was hinter den Kulissen läuft! Ich kann nur sagen, ich wäre bereit gewesen für mehr als ein TV-Duell mit Frau Merkel. Sie hat sich dem entzogen, ihre Methoden sollen andere beurteilen. Welche Bedingungen wird die SPD für eine Regierungsbeteiligung stellen? In unserem Regierungsprogramm steht ein klares Bekenntnis zum Euro, zu Europa und zu den Verpflichtungen der Bundesrepublik im Rahmen der Nato und der Vereinten Nationen. Wer das in Frage stellt, wird mit mir nicht koalieren können. Morgen präsentieren Sie eine Nationale Bildungsallianz. Was läuft verkehrt in Deutschlands Schulen? Es ist so simpel wie traurig – viele Schulen in Deutschland sind marode. Es regnet rein, die sanitären Anlagen sind nicht nutzbar, die Digitalisierung ist noch nicht überall angekommen, es besteht Lehrermangel. Ich habe einen klaren Plan: Die Rolle des Bundes im Bildungsföderalismus muss gestärkt werden. Die Bildungshoheit bleibt bei den Ländern, aber wir brauchen gleiche Bildungsstandards im ganzen Land! Notwendig sind die Abschaffung des Kooperationsverbots – worüber ich mir mit unseren SPD-Ministerpräsidentinnen und -präsidenten einig bin - eine hohe Qualität, mehr Personal, mehr Schulsozialarbeit, mehr Ganztagsschulplätze. Wir können den Eltern und Lehrern nicht sagen, sorry, es gibt Kompetenzstreitigkeiten. Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) rät vom Kauf von Diesel-Autos ab. Sie sprechen von einer Zukunftstechnologie. Wie passt das zusammen? Barbara Hendricks ist da voll auf meiner Linie. Sie hat richtigerweise darauf hingewiesen, dass die aktuellen Modelle zumindest ein Software-Update brauchen oder umgerüstet werden müssen. Wenn das nicht so wäre, hätten wir ja die aktuellen Probleme nicht! Der Dieselmotor wird als Brückentechnologie noch lange Zeit gebraucht. Deswegen macht es Sinn, in diesen Motor zu investieren, um ihn zu optimieren. Die Annahme, man könne einfach den Ausstieg aus dem Diesel erklären, ist irrig. So zu tun, als wäre das möglich, das können sich höchstens die Grünen leisten. Sie haben gesagt, Sie interessieren sich nicht für Golfspieler, sondern für Golf-Fahrer. Wie wollen Sie denen helfen, sollte es doch zu Fahrverboten kommen? Ich arbeite dafür, Fahrverbote zu verhindern. Ich habe nichts gegen Golf und Golfspieler, aber ich habe etwas gegen Manager, denen ihr Handicap wichtiger ist als die beruflichen Handicaps ihrer Belegschaft. Der Betreiber eines Teilstücks der A1 zwischen Bremen und Hamburg ist pleite. Welche Lehre muss die Verkehrspolitik daraus ziehen? Staatliche Infrastruktur muss staatliche Infrastruktur bleiben. Dass die schwarz-gelben Privatisierungsträume am Ende teuer für den Steuerzahler werden, sehen wie gerade wieder bei der A1. Der Bundesverkehrsminister von der CSU hat sich leider die ganze Zeit auf die Maut konzentriert. Herrn Dobrindt fehlt das Format, um dieses wichtige Ministerium zu führen. Viele wussten das schon vor dieser Legislaturperiode. Frau Merkel hat es offensichtlich bis heute nicht gemerkt. Ich war zum Beispiel immer gegen diese Maut. Sie wurde von der CSU zur Koalitionsbedingung gemacht... …und jetzt wollen Sie sie plötzlich wieder aus dem Gesetzblatt streichen. Ist das nicht unglaubwürdig? Stopp! Wer ist hier unglaubwürdig? Herr Dobrindt hat im Frühjahr gesagt, dass Aufwand und Ertrag im richtigen Verhältnis stehen. Jetzt sagen mir Experten, dass das nicht stimmt. Ich werde als Bundeskanzler diese Murks-Maut wieder abschaffen. Angela Merkel fliegt heute zum Flüchtlingsgipfel nach Paris. Ist die Zeit reif für europäische Asylzentren in Nordafrika? Natürlich müssen wir stärker gegen Schlepper vorgehen und dort, wo es in Nordafrika zu rechtsstaatlichen Bedingungen möglich ist, europäische Anlaufstellen schaffen. Der entscheidende Punkt ist aber: Wir brauchen ein Einwanderungsgesetz. Alle großen Einwanderungsländer der Welt machen das so. Wir drängen alle ins Asylverfahren. Aber die meisten wollen dauerhafte Perspektiven statt temporären Schutz. Dazu brauchen wir ein Verfahren mit klaren Kriterien und Quoten. Sie wollen die Gespräche über Zollunion und EU-Beitrittshilfen mit der Türkei stoppen: Wie viel Zeit wollen Sie Erdogan geben zum Einlenken?Wir müssen ihm eine Frist setzen. Ich bin nicht bereit, noch Monate zu warten. Da muss es um wenige Wochen gehen. Sind Sie sich darin mit Kanzlerin Merkel einig? Nein, sie bleibt stumm. Frau Merkel meidet alle schwierigen Themen. Ich habe viele Jahre Erfahrung in der internationalen Politik. Ein bestimmter Typus von Staatsführern versteht nur klare Ansagen. Es gibt da ein altes Sprichwort. Wer sich zum Lamm macht, den fressen die Wölfe. Erdogan nutzt jede Möglichkeit, die man ihm lässt. Er bricht alle Regeln. Darauf darf man nicht mit fein ziselierten Äußerungen reagieren. Die Türkei entfernt sich von uns, nicht wir von ihr.

 

"Habe einen Plan für die Zukunft", Schweriner Volkszeitung (28.08.2017), Seite 2

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